Nicht so das Bilderbuchmädchen – Agnes Ofner

Das Cover des Buches und der Titel sind unkonventionell, entsprechen nicht dem Mainstream und sind gerade deswegen auffallend – und gefallen nicht jeder und noch weniger wahrscheinlich jedem. Aber der Inhalt interessiert alle!

Es geht um einen Jungen und ein Mädchen, um Freundschaft, Leiden nach einem Umzug und die erste Liebe. Soweit ist das nicht Aufsehen erregend auf dem aktuellen Jugendbuchmarkt. Aber es geht eben auch um mehr: um den Sinn des Lebens, Superkräfte, Wahrheit und Lügen.

Es geht um Sam und Zara, die sich erst am Ende des Buches auf S. 277 treffen und spätestens dann, wenn man das Erscheinungsjahr des Romans betrachtet, weiß man, dass das nichts mit der Corona-Epidemie, mit Quarantäne oder Isolation zu tun hat. Die beiden haben sich von Fenster zu Fenster in einer Straße kennen gelernt, in die Sam mit seinen Eltern vor Kurzem eingezogen ist. Zara sieht eines Tages von ihrem Fenster aus, dass er weint und stellt ihre Vermutungen über den Grund dazu an. Sie beobachtet ihn, stellt fest, dass er augenscheinlich nicht mit ihr in die Schule geht, da er früher als sie das Haus verlässt und auch nicht mit ihrem Bus fährt. Sie ist neugierig und baut auf unkonventionelle Weise den Kontakt auf: Zara hält weiße Blätter mit groß geschriebenen Wörtern darauf ans Fenster: „Hallo, ich bin Zara!“

Das ist der Beginn einer Kommunikation zwischen zwei Fremden, die beide aktuell emotional schwierige Zeiten durchleben und sich auf die Distanz einer Straßenbreite näherkommen – ohne die Mobilnummer voneinander zu haben! Diese Art der Kommunikation ist oft witzig, manchmal heiß ersehnt, manchmal verwirrend. Immer aber trägt sie die Handlung voran.

Da die Autorin nicht aus der Ich-Perspektive schreibt, sondern die personale Erzählhaltung wählt, können die Leser:innen beide Gefühlswelten nachvollziehen, mit Sam und Zara traurig, wütend und glücklich sein. Dennoch wird dadurch eine Distanz zu den Figuren gewahrt, die einen groß angelegten Spannungsbogen bis zum Ende möglich macht.

Wer jetzt glaubt, ich hätte zu wenig zur Handlung gesagt – die oder der hat Recht! Aber für das Erleben dieses großartigen Buches ist es ganz wichtig, nicht zu „spoilern“! Leider tun dies manche Rezensent:innen und verhindern damit einen Teil des literarischen Lernens.

 

 

Buchtipp: Ulrike Erb-May, Lese- und Literaturpädagogin (BVL)

 

Verlag: Jungbrunnen 2019
Foto: © Jungbrunnen